Lesemonat Mai 2020

Hallo ihr Lieben!

Schön, dass ihr da seid! Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber an mir ist der Mai nur so vorbeigeflogen und ich habe keine Ahnung, wo die Zeit schon wieder hin ist. Ich hatte im Mai viel fürs Studium zu tun, daher habe ich „nur“ vier Bücher geschafft. Aber darunter war ein absolutes Highlight und einige andere spannende Entdeckungen und Überraschungen dabei, über die ich euch gerne berichten möchte (natürlich wie immer spoilerfrei!). Ich wünsche euch viel Spaß! 🙂

Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle von Stuart Turton

Cover „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ von Stuart Turton, (c) Tropenverlag

INHALT

Auf Blackheath, dem großen Anwesen der Familie Hardcastle mitten in einem dunklen und undurchdringlichen Wald, findet ein Maskenball statt. Für diesen sind viele Gäste eingeladen, die sich großartig amüsieren. Doch am Ende des Abends wird die Tochter des Hauses, Evelyn, vor den Augen der Gäste ermordet. Und dieser Mord soll sich Tag für Tag in Endlosschleife wiederholen – so lange, bis er aufgeklärt und der Mörder gefunden ist. Unter den Gästen befindet sich auch Aiden Bishop, der den grausamen Mord an Evelyn innerhalb von sieben Tagen aufklären muss – gelingt ihm dies nicht, darf er Blackheath nie mehr verlassen.

Das Besondere dabei ist: Aiden ist nicht körperlich anwesend. Sein Geist fährt an jedem neuen Tag in den Körper eines anderen Gasts des Maskenballs. Auf diese Art und Weise untersucht Aiden die Vorkommnisse aus vielen Perspektiven und setzt Stück für Stück den Mord an Evelyn und all die mysteriösen Geschehnisse in und um Blackheath und die Familie Hardcastle zusammen. Dabei taucht er tief in die düstere und geheimnisumwitterte Vergangenheit des Hauses ein und deckt Unaussprechliches auf.

Dabei lernt Aiden mit der Zeit, dass er nicht allein bei der Aufklärung des Mordes an Evelyn Hardcastle ist: Er findet sowohl unerwartete Unterstützung als auch mehrere Gegenspieler, die nach seinem Leben trachten und unbedingt verhindern wollen, dass Aiden dieses Rätsel löst, koste es, was es wolle. Cover,

WEITERE INFROMATIONEN UND GEDANKEN

Ich habe das Gefühl, dass keines meiner Worte auch nur ansatzweise beschreiben könnte, WIE UNFASSBAR GROSSARTIG dieses Buch ist – ich bin dermaßen begeistert von dieser hochintelligenten, zutiefst komplexen und wunderbaren, spannenden, faszinierenden, vielschichtigen, farbenprächtigen, düsteren, überraschenden und nervenaufreibenden Geschichte, die so vielschichtig ist, dass ich gar nicht alle meine Gedanken sinnvoll zusammenfassen könnte. Es ist einfach ein Meisterwerk!

Von der ersten bis zur letzten Seite (im wortwörtlichen Sinne!) war ich von dieser Geschichte sogartig gefangen genommen. Schon auf Seite 5 blieb mir vor Spannung die Luft weg und dieses Gefühl sollte mich durch das gesamte Buch nicht mehr verlassen. Dabei wartet Stuart Turton auf fast jeder Seite mit einer neuen Wendung auf, die ich nicht kommen gesehen habe – Diese Überraschungen und Plottwists, die mit schöner Regelmäßigkeit kamen, machten das Buch für mich zu einem atemlosen Leseerlebnis, wie ich es so noch nie hatte. Dabei sind die Ereignisse und Zusammenhänge auf dermaßen kunstvolle, hochintelligente und komplexe Weise miteinander verwoben, dass ich nur staunen konnte. Wichtig finde ich zu betonen, dass die Geschichte für mich viel mehr als ein Kriminalroman ist – Das allein würde ihm meines Erachtens nicht gerecht werden. Für mich ist es vielmehr eine Mischung aus Kriminalroman und leicht surrealem Thriller, der mit fantastisch anmutenden Elementen, einer Prise H. P. Lovecraft und einer fast kafkaesken Situation spielt – weiß man doch die gesamte Zeit über nicht, womit Aiden es WIRKLICH zu tun hat. Dabei geht es um Schuld und Bestrafung, um die Kraft der Vergebung, bedingungslose Loyalität und Freundschaft, Verrat, Täuschung, Vertuschung und Schicksal. Und all das in großartig düsterer Atmosphäre auf Blackheath! Bis zur letzten Seite wird die Spannung aufrecht erhalten und gipfelt schließlich in dem erschütternden, atemlosen, unvorhergesehenen und zutiefst berührenden Finale, das mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

SCHREIBSTIL

Auch beim Schreibstil komme ich aus dem Schwärmen nicht raus – Ich bin absolut begeistert von Stuart Turtons wunderschönen, fast poetischen Sprache und den großartigen Metaphern, mit denen er so gekonnt jongliert, dass es ein einziges Vergnügen ist. Dabei ist sein Erzählstil auch durch eine dichte Sprache geprägt – dies gefällt mir unheimlich gut, sorgt aber auch für eine gewisse Komplexität, die manchen Leser auch ab und zu herausfordern kann.

Weitere Elemente, die bei mir richtige Begeisterung ausgelöst haben, waren die Einladung zum Maskenball an den Leser auf der ersten Seite des Buches und der wunderschön illustrierte Grundriss des Blackheath-Anwesens. Auf der Einladung sind alle anderen Gäste des Maskenballs aufgelistet – dies fand ich bei der großen Menge an Charakteren und komplexen Zusammenhängen sehr hilfreich. Während meiner Lektüre habe ich dort mehrmals nachgeschlagen, um die erwähnten Personen nochmals für mich einordnen zu können. Auch der Grundriss von Blackheath war sehr nützlich – spielt die Handlung doch an so vielen unterschiedlichen Orten in und um Blackheath, dass dieser Plan bei der Orientierung sehr geholfen und mir unheimlich gut gefallen hat.

MEINUNG

Ich glaube, ich habe nun zur Genüge davon geschwärmt, was mir an diesem Buch alles gefallen hat – für mich hat einfach ALLES an diesem Buch gestimmt! Ich habe in anderen Rezensionen gelesen, dass manche die Längen in diesem Buch kritisieren – dies ging mir persönlich überhaupt nicht so, im Gegenteil. Für mich war jede Seite ein grandioser Lesegenuss. Nun hoffe ich einfach, dass Stuart Turton bitte noch viele solche Bücher schreiben möge – sein neues Buch „The Devil and the dark water“ wird im Herbst auf Englisch erscheinen. Ich bin schon jetzt SO gespannt!

Für mich ist „Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle“ definitiv ein All-Time-Favorit und ein Jahreshighlight, das mein Bücherregal nie wieder verlassen wird!

One of us is lying von Karen M. McManus

Beim zweiten Buch, das ich diesen Monat gelesen habe, handelt es sich um den Jugendbuch-Thriller „One of us is lying“ von Karen M. McManus. Da ich mit einem guten Jugendbuch-Thriller immer etwas anfangen kann und dieses Buch 2019 von der Jugendjury für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert war, war ich doch sehr gespannt…

Cover „One of us is lying“, (c) cbj Verlag

INHALT

Simon Kelleher, Schüler der Bayview High und Urheber der berüchtigten Schulklatsch-App „About That“ wird zum Nachsitzen verdonnert. Für den nächsten Tag hat er einen neuen und ganz besonderen Skandalpost in seiner App geplant, der der ganzen Schule den Atem rauben wird. Doch soweit soll es nicht mehr kommen: Während des Nachsitzens bricht Simon plötzlich zusammen und stirbt wenig später im Krankenhaus. Schnell wird klar: Simon wurde ermordet. Obwohl viele Schüler an der Bayview High Angst vor Simons Klatsch-App und seinen rücksichtslosen und skandalösen Enthüllungen hatten, fällt der Verdacht der Polizei auf die vier Schüler, die gemeinsam mit Simon beim Nachsitzen in demselben Raum waren: Bronwyn, die hochbegabte Superschülerin, die auf dem besten Wege nach Yale ist. Addy, die beliebte und wunderschöne Homecoming-Queen, die immer mit der coolsten Clique der Schule abhängt. Cooper der Baseball-Star der Schule, um dem sich die Talentscouts der Universitäten schlagen. Und Nate, der etwas mysteriöse Drogendealer, der aus komplizierten Verhältnissen stammt. Der Leser merkt mit der Zeit, dass jeder einzelne dieser vier Jugendlichen ein schwerwiegendes Geheimnis hat, das besser nicht ans Licht kommen soll. Doch Simon wollte genau diese Geheimnisse mit seinem nächsten Post ans Licht zerren…

Schnell entwickelt sich eine mediale Hetzjagd auf die vier Jugendlichen, die ab sofort von der Polizei verhört und verdächtigt werden. Ihnen bleibt nur eine Wahl: Sie müssen schnell herausfinden, wer Simon getötet hat – bevor ihre Geheimnisse und der schreckliche Verdacht der Polizei ihr Leben für immer zerstört.

WEITERE INFORMATIONEN UND GEDANKEN

„One of Us is lying” setzt sich mit unterschiedlichen Themen auseinander wie Mobbing und dem Druck, der heute von sozialen Medien gegenüber jungen Menschen ausgeht. Aber es geht auch um Leistungsdruck, Gruppenzwang, der Angst vor sozialem Ausschluss und Substanzabhängigkeit. Dies mag wie ein extrem schwerer Stoff wirken, jedoch verarbeitet die Autorin diese Themen auf eine Art und Weise, die die Brisanz der Themen aufzeigt, ohne zu belastend zu sein. Dieser Spagat ist ihr meines Erachtens auch sehr gut gelungen.

Während Bronwyn, Addy, Cooper und Nate zu Beginn der Geschichte wie ein paar stereotype Highschoolklischees daherkommen, entwickeln sie sich im Laufe der Geschichte auf eine bemerkenswerte Art und Weise weiter, die mir sehr gut gefallen hat. Und auch als sie fieberhaft versuchen, Simons Mörder aufzuspüren, erfährt man auch so manch Erschütterndes über Simon – hier wird deutlich, wie wichtig Themen wie Würde und Respekt für seine Mitmenschen und auch das Wissen um psychische Erkrankungen sind. All diese Aspekte zusammengenommen machen dieses Buch für mich sehr empfehlenswert und mehrdimensional.

SCHREIBSTIL

Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive jedes der vier Jugendlichen erzählt. Dabei lernt man die einzelnen Personen Stück für Stück immer besser kennen. Besonders gelungen fand ich, wie die Autorin hier die einzelnen Persönlichkeiten der Protagonisten in ihrer Individualität herausgearbeitet und aufgezeigt hat. Schließlich werden so auch die Geheimnisse, die jeder einzelne der vier Jugendlichen hat, enthüllt und es wird immer klarer, unter welchem Druck alle stehen. Der Schreibstil von Karen McManus bleibt dabei immer recht einfach und flüssig, sodass man schnell durch die Geschichte durchkommt. Sprachlich passt sie sich dabei auch an ihre Zielgruppe an. Besonders spannend sind darüber hinaus auch die Posts auf TumblR, die nach Simons Tod immer wieder auftauchen und Bronwyn, Addy, Cooper und Nate immer wieder aufs Neue in Panik versetzen.

Auch, wenn die Geschichte gegen Ende doch echt spannend wurde und mir im Großen und Ganzen auch gut gefallen hat, hätte sie für meinen Geschmack doch gerne etwas rasanter erzählt sein dürfen. Im Jugend-Thriller-Bereich bin ich da wahrscheinlich eher das Erzähltempo von Sara Shepard gewöhnt, die in sehr regelmäßigen Abständen Plottwists einbaut und „Bomben platzen lässt“. In „One of Us is lying“ entwickelt sich alles etwas langsamer und der Leser bekommt die Spuren und sich ankündigenden Wendungen der Geschichte in kleinen, unscheinbaren Häppchen vorgesetzt. Hier hätte ich mir etwas mehr Tempo und etwas mehr Spannung gewünscht.

MEINUNG

Sehr gut gefallen hat mir die Entwicklung, die die vier Protagonisten durchgemacht haben. Erst, als sich alle mit Simons Tod und ihren eigenen Geheimnissen auseinandersetzen und sich den daraus resultierenden Schwierigkeiten stellen, gelangen die vier zu ihrer vollen Stärke. Das hat mir sehr gefallen! Auch die Komplexität der angesprochenen Themen im Buch fand ich sehr spannend. Auch die Auflösung um Simons Tod kam unerwartet und hat mich sehr erstaunt, das habe ich nicht kommen sehen.

Weniger gefallen hat mir das Erzähltempo, das für meinen Geschmack gerne etwas rasanter hätte sein dürfen. Zudem entwickelt sich im Buch auch noch eine Liebesgeschichte, wie sie in Teenagerbüchern sicher nicht untypisch ist. Hier habe ich nur eben gemerkt, dass ich für solche Teile in Jugendbücher doch wohl einfach schon etwas zu alt bin. 😉

Insgesamt war „One of us is lying” ein interessantes und spannendes Buch, das ich absolut weiterempfehlen kann, wenn man auf Jugendbuch-Thriller mit ernstem Hintergrund steht.

Das Buch ist im cbj-Verlag erschienen und hat auch einen zweiten Teil „One of us is next“, den ich mir bestimmt auch demnächst mal näher ansehen werde.

Die sieben Schwestern von Lucinda Riley

Mein Leseerlebnis von „Die sieben Schwestern“ von Lucinda Riley war für mich ein einziges Auf und Ab. Tatsächlich wollte ich es nach der Hälfte schon abbrechen und legte das Buch erstmal beiseite. Doch die zweite Hälfte hat mich dann sehr überrascht…

Cover „Die sieben Schwestern“ (c) Goldmann Verlag

INHALT

Als Maia d’Aplièses Adoptivvater Pa Salt unerwartet stirbt, hinterlässt er ihr und ihren fünf Schwestern (die ebenfalls von ihm adoptiert wurden) jeweils einige Hinweise über ihre Herkunftsfamilien. Die introvertierte und unsichere Maia beschließt, sich von ihrem Elternhaus am Genfer See aus auf die Spur ihrer Herkunft zu begeben. Ihr Weg führt sich nach Rio de Janeiro, Brasilien. Dort erfährt sie mehr über die Vergangenheit ihrer Familie und taucht durch Briefe und Erzählungen in die Lebensgeschichte ihrer Urgroßmutter Izabela Aires Cabral ein. Die Geschichte spielt auf zwei Zeitebenen: Zum einen der Gegenwart, in der Maia lebt und zum anderen in den 1920er Jahren zur Zeit Izabelas. Der Leser lernt Maias Urgroßmutter Izabela als junges Mädchen kennen, das in Rio mit einem jungen Mann aus gutem Hause verheiratet werden soll. Obwohl Izabela eigentlich nicht auf diese Art und Weise verheiratet werden möchte, willigt sie ein. Vor der Hochzeit darf sie aber die befreundete Familie von Bauingenieur Heitor da Silva Costa auf eine Reise nach Europa begleiten. Heitor da Silva Costa möchte nämlich in Paris mit dem Künstler Paul Landowski Kontakt aufnehmen, um die Errichtung der geplanten Cristo Redentor Statue in Rio voranzutreiben.

Voller Begeisterung lernt Izabela Europa und vor allem Paris mit seiner farbenprächtigen Künstlerszene in Montparnasse kennen und lieben. Und es sind nicht nur die neuen Eindrücke, die auf ihrer Reise dafür sorgen, dass ihr Leben bald aus den Fugen geraten soll… Als Izabela nach Rio zurückkehrt, steht sie bald vor der schwersten Entscheidung ihres Lebens. Und Maia in der Gegenwart lernt langsam, ihre eigene Biografie besser zu verstehen und das Vertrauen ins Leben und in sich selbst wieder zuzulassen.

WEITERE INFROMATIONEN UND GEDANKEN

Ich mache mich (v.a. wenn man bedenkt, wie unfassbar beliebt die „Sieben Schwestern“-Reihe ist) wahrscheinlich ziemlich unbeliebt, wenn ich zugeben muss, dass mir die erste Hälfte des Buches wirklich überhaupt nicht gefallen hat. Besonders Izabelas Geschichte in den Zwanzigerjahren konnte mich nicht begeistern: Empfand ich Izabela doch als sehr naiv und selbstbezogen und war mir doch keiner der Protagonisten wirklich sympathisch. Zudem verlangte so manch kitschige Szene mir auch einiges ab. Irgendwann war ich nur noch genervt und ich legte das Buch nach der Hälfte beiseite. Ich war fest entschlossen, es abzubrechen. Doch wie das immer so ist mir abgebrochenen Büchern: es ist nicht leicht auszuhalten, wie abgebrochene Bücher mahnend im Bücherregal stehen… und so nahm ich „Die sieben Schwestern“ doch nach einigen Wochen wieder hervor und las es zu Ende. Und was soll ich euch sagen?! Die zweite Hälfte hat mir doch um einiges besser gefallen, als die erste. In der zweiten Hälfte der Geschichte muss Izabela einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen, die ihre Persönlichkeit sehr reifen lassen. Mit dieser Reife wurde sie mir auch zusehends sympathischer. In der zweiten Hälfte rückte dann auch endlich Maia wieder in den Vordergrund (Maia hatte ich von Anfang an gemocht) und endlich erfuhr ich ein großes Geheimnis über sie, das sie zu der Person hat werden lassen, die sie heute ist. Aber Maia wächst an der Geschichte ihrer Urgroßmutter und findet schließlich in Rio ihre Lebensfreude und das Vertrauen in sich und das Leben wieder. Dieser Aspekt der Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Ein kleiner Playlist-Tipp: Während meiner Lektüre habe ich immer wieder mal das Album „India Urbana“ von Be Ignacio gehört… diese Musik hat die Stimmung des Buches für mich optimal transportiert! Vielleicht magst du ja mal reinhören… 🙂

SCHREIBSTIL

Bemerkenswert ist wirklich Lucinda Rileys riesiges Talent, den Leser zu exotischen Orten und in andere Zeiten zu entführen. Sie benötigt nur wenige Sätze und schon atmet die ganze Geschichte die sonnige, pulsierende Atmosphäre Rios – und auch im Erzählstrang der Zwanzigerjahre lässt Lucinda Riley ein ganz eigenes, farbenprächtiges Flair erstehen, das einfach Spaß macht und den Leser sofort gefangen nimmt. Dabei liest sich die Geschichte immer sehr angenehm und leicht. Es wechseln sich Erzählstränge aus Vergangenheit und Gegenwart in sehr langen Abschnitten ab. In der Gegenwart stößt Maia entweder auf Briefe ihrer Urgroßmutter oder hört Erzählungen über sie. Über diese Wege erzählt Lucinda Riley dann Izabelas Geschichte. Hier hätte ich mir öfter Wechsel gewünscht – kam für mich die Gegenwart mit Maia doch oft viel zu kurz, während mir die Teile Izabelas oft schier endlos vorkamen.

MEINUNG

Sehr gut gefallen hat mir die großartig-sommerliche, farbenfrohe und exotische Atmosphäre, die Lucinda Riley wirklich meisterhaft binnen kürzester Zeit aufzubauen vermag. Auch die Abwechslung von Gegenwart und Vergangenheit an sich finde ich eine gelungene Idee. Zudem hat Lucinda Riley auch die Errichtung der landestypischen Cristo Statue sehr gekonnt in die Geschichte verwoben. Diese Vermischung aus Fiktion und Realität hat mir unheimlich viel Spaß gemacht. Ein weiterer Aspekt, der die Geschichte wirklich aufwertet, ist die Tatsache, dass die Geschichte um die sieben Schwestern auf der mythologischen Geschichte der Plejaden (was auch einem Sternbild entspricht) basiert. Mehrere mystische und mythologische Elemente hat die Autorin sehr subtil in ihre Geschichte um Pa Salt und seine Töchter eingeflochten – für meinen Geschmack hätte dieser Aspekt der Geschichte gerne noch viel deutlicher hervortreten können, da ich diese Idee wirklich großartig finde!

Das meiste, was mir an „Die sieben Schwestern“ nicht gefallen hat, habe ich ja oben schon genannt. Insgesamt hätte ich mir wirklich gewünscht, mehr über Maia und die Gegenwart Rios zu erfahren. Die Teile, die in der Vergangenheit spielen, waren mir persönlich viel zu lang und haben sich erst sehr spät so entwickelt, dass ich sie wirklich gerne lesen mochte. Auch die Tatsache, dass sich die Vergangenheit über Briefe und Erzählungen in großen Brocken entwickelt, fand ich etwas plump. Wenn Maia und ihr Begleiter Floriano in Rio beispielsweise noch über Izabela eingehender hätten recherchieren müssen, wäre die Geschichte für mich spannender gewesen. Ich hatte das Gefühl, als sei Maias Lebensgeschichte neben Izabela eigentlich nur das nötige Beiwerk und gewissermaßen ein bloßes Vehikel, um eigentlich Izabelas Leben in voller Breite darzustellen. Dieses Ungleichgewicht fand ich ehrlicherweise recht nervig.

Darüber hinaus war das Buch an vielen Stellen doch recht kitschig (während an anderen Stellen oft ein paar großartige Reflexionen über Izabelas Leben ausgebreitet wurden – davon hätte ich liebend gerne mehr gehabt!). Damit muss man allerdings rechnen, wenn man Geschichten von Lucinda Riley liest, daher möchte ich dies lediglich anmerken, aber nicht kritisieren.

Der Punkt, der mich zum Schluss noch geärgert hat, war eine Aussage, die Loens Tochter über Maias Mutter tätigt (ich möchte nicht näher darauf eingehen, sonst würde ich spoilern)– dies fand ich persönlich sehr unsensibel und absolut daneben. Hier hätte ich mir viel mehr Auseinandersetzung von Lucinda Riley mit der Thematik gewünscht.

Insgesamt kann ich das Buch empfehlen, wenn man mit einem gerüttelt Maß an Kitsch leben kann und man eine lebendige und farbenprächtige Geschichte auf mehreren Zeitebenen vor exotischer Kulisse mag. Da mich das Ende dann doch berühren konnte, werde ich mir den zweiten Teil der „Sieben Schwestern“-Reihe gerne anschauen.

Der Winterpalast von Eva Stachniak

Da ich mal wieder Lust auf einen historischen Roman hatte und mich für das Russland der Zarenzeit sehr interessiere, bin ich bei „Der Winterpalast“ von Eva Stachniak gelandet. Was ich heir erlebt habe, berichte ich euch gerne…

Cover „Der Winterpalast“, (c) insel taschenbuch verlag

INHALT

Im zaristischen Russland des 18. Jahrhunderts verliert das junge polnische Mädchen Warwara Nikolajewna ihre beiden Eltern, steht als Waise vor dem Nichts und muss plötzlich ums nackte Überleben kämpfen. Wie durch ein Wunder kommt sie im Sankt Petersburger Winterpalast am Hof von Zarin Elisabeth als Näherin unter. Durch einen Zufall wird sie zu einer „Zunge“, einer Spionin, die für den Kanzler Bestuschew und Kaiserin Elisabeth den gesamten Hof bespitzeln und diese mit Informationen und Geheimnissen versorgen soll. Schnell lernt Warwara alles über Geheimgänge, verdeckte Türen, Verstecke, menschliches Verhalten, Täuschungen und Intrigen. Für ihren Aufstieg von der verwaisten Buchbinderstochter zur höfischen Spionin zahlt Warwara jedoch einen hohen Preis – der ihre kindliche Unschuld zerstört und ihre Persönlichkeit für immer verändern soll.

Doch dann kommt die junge Sophie von Anhalt-Zerbst an den Zarenhof, um Großfürst Peter (den Nachfolger Zarin Elisabeths und somit dem zukünftigen Zaren Russlands) zu heiraten. Sophie, die später zu Katharina der Großen werden wird, muss sehr schnell lernen, wie die Dinge am russischen Hof funktionieren. So ist der Alltag dort geprägt von gefährlichen Intrigen, Misstrauen gegenüber jedermann, bedingungslosem Machtstreben und lebensgefährlichem Verrat. Dabei wird Warwara zu ihrer engsten Vertrauten und zwischen den beiden ungleichen Frauen beginnt eine außergewöhnliche Freundschaft.

WEITERE INFORMATIONEN/ GEDANKEN

Eva Stachniak gelingt es auf unglaublich spannende Art und Weise, den Leser an der Hand zu nehmen und vor seinen Augen die farbenprächtige, zutiefst widersprüchliche, machtorientierte und epische Welt des Zarenhofs im 18. Jahrhundert erstehen zu lassen. Dabei lebt die Geschichte voll und ganz von der wundervollen Protagonistin. Warwara hat meine Sympathien von Anfang an erobern können, weshalb ich jeden Moment mit ihr mitgefühlt und mitgefiebert habe. Besonders die Augenblicke am Anfang der Geschichte, als Warwara auf schmerzliche Weise lernen muss, wie sie bei Hofe überleben kann und schließlich Spionin wird, haben mir das Herz gebrochen. Denn den bitteren Preis, den Warwara für ihre Position als „Zunge“ aufbringen muss, bezahlt sie mit ihrer kindlichen Unschuld. Ab sofort sind ihre Persönlichkeit, ihr Denken und ihr Fühlen von (berechtigtem) Misstrauen gegenüber allem und jedem geprägt. Ein Satz, der Warwaras (und später auch Katharinas) Entwicklung bemerkenswert zusammenfasst, wird mir sehr in Erinnerung bleiben: „Wenn man eine Rolle lange genug spielt, wird sie irgendwann zum Teil der eigenen Persönlichkeit“. Dies ist umso schlimmer, da sie keine Familie mehr hat und bei Hof auch keinen einzigen Menschen hat, dem sie vertrauen kann. Sie sehnt sich nach einer Familie, einem wahren Zuhause, einem vertrauten Menschen. Warwaras schreckliche Einsamkeit und ihr sehnlichster Wunsch, jemandem wirklich wichtig und für jemand anderen besonders zu sein, ist immerzu präsent und wird auch für den Leser spürbar.

Auch die Entwicklung  der jungen, unbedarften Sophie von Anhalt-Zerbst hin zur Zarin Katharina der Großen zeichnet Eva Stachniak auf spannende und hochinteressante Weise: Man begleitet Sophie den ganzen Weg und merkt, wie sie sich langsam aber sicher verändert, wie sie immer stärker und machtwilliger wird. Dabei ist Katharinas Entwicklung mehrdimensional komplex: Sind die Umstände bei Hofe doch teilweise so furchtbar, dass man sich als Leser dabei ertappt, wie man ihr Machtstreben und ihren scheinbar rücksichtslosen Putsch doch plötzlich nachvollziehen kann. Dies hat meine Sicht auf die historische Figur doch ein großes Stück erweitert. Besonders spannend dabei: Auch Katharina hat keinen vertrauten, liebevollen Menschen an ihrer Seite – dies hat sie mit Warwara gemeinsam. Umso besser verstehen sich die jungen Frauen und umso stärker wird die Verbindung, die Warwara zu Katharina aufbaut. Die Tatsache, von Katharina gebraucht und geschätzt zu werden berührt und motiviert Warwara so sehr, dass in Warwaras Gedanken das Schicksal Katharinas für sie wegbestimmend wird.

SCHREIBSTIL

Die Geschichte wird als Ich-Erzählung aus Warwara Nikolajewnas Sicht erzählt. Eva Stachniaks Schreibstil liest sich sehr flüssig und ist dennoch auch auf angenehme Weise anspruchsvoll. Immer wieder streut sie Metaphern und Vergleiche oder Assoziationen und Beobachtungen von Warwara ein, die die düstere und teilweise bedrückend-skurrile Stimmung am Zarenhof wirklich großartig widerspiegeln. Dabei zeichnet sie ein düsteres und zugleich farbenprächtiges Epos und entführt den Leser voll und ganz ins Russland des 18. Jahrhunderts.

MEINUNG

Sehr gut gefallen hat mir das innere Erleben von Warwara, die ein wirklich komplexer und zutiefst berührender Charakter ist. Sie tat mir teilweise so leid, dass ich sie am liebsten mal in den Arm genommen hätte. Umso großartiger waren die Momente, in denen sie auch triumphieren und sich über ihr Schicksal erheben konnte.

Auch das Flair am russischen Zarenhof mit Pomp und Luxus auf der einen Seite und marodem Verfall und hochgradig skurrilen Momenten auf der anderen Seite ist Eva Stachniak meisterhaft gelungen. Um all die unglaublichen und fast surrealen Augenblicke und Gepflogenheiten am russischen Hof des 18. Jahrhunderts zu erfassen, muss man das Buch gelesen haben, sonst kann man es sich kaum vorstellen. Dabei lässt die Autorin auch die unfassbare Armut Russlands genauso wenig aus wie die Grausamkeit der zaristischen Herrschaft.

Weniger gelungen fand ich einige Strecken in der Mitte des Buchs, die sich doch teilweise ziemlich langatmig zogen. Diese Teile der Geschichte waren vor allem durch die Beschreibung der surrealen und teilweise grausamen und manipulativen Launen und Verhaltensweisen Zain Elisabeths geprägt – dies hätte für meinen Geschmack deutlich gekürzt werden können. Insgesamt hat mir „Der Winterpalast“ sehr gut gefallen. Auch das Ende ordnet rückblickend Warwaras gesamtes Leben am Zarenhof noch einmal ganz neu – mit einer Erkenntnis, die man nicht kommen sieht. Dieses Ende hat mich sehr überrascht und mir großartig gefallen, zumal das Ungleichgewicht der Frauenfreundschaft zwischen Warwara und Katharina auf intelligente Weise aufgezeigt und „enttarnt“ wird. Grandios!

… ja, es war wiedermal ein toller Lesemonat. Habt ihr vielleicht schon welche von den genannten Büchern gelesen? Wenn ja, wie haben sie euch denn gefallen? Was habt ihr so im Mai gelesen? Lasst mir gerne einen Kommentar da! Ich freue mich auf den Austausch mit euch 🙂

2 Kommentare zu „Lesemonat Mai 2020

  1. Immer wenn ich deine Beschreibungen lese, krieg ich richtig Lust mal wieder selbst zu lesen. Am spannendsten klingt für mich Evelyn Hardcastle und Warwaras Geschichte. Muss ich wohl echt mal lesen.
    Wieder toll geschrieben! Man merkt dir deine Begeisterung für die Geschichten an. 🙂

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  2. Liebe Christina, die Rezensionen deines Lesemonats Mai waren wiedermal richtige ‚Perlen‘. Dein flüssiger, äußerst packender Schreibstil, macht immer wieder neugierig die Bücher zu lesen. Wenn ich deine Lesemonate verinnerliche, tut es mir ganz außerordentlich leid, derzeit so wenig Zeit zum Schmökern zu haben. Mach bitte so weiter. Liebe Grüße🤩🤩🤩

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